Montag, 14. Oktober 2013

Dichtung und Wahrheit

Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich mich hier ermüdend ausführlich über den aktuellen Racing-Film „Rush“ ausgelassen. Sie erinnern sich. Der Tenor: kein schlechter Film, aber mit vielen ganz offenbar der Dramatik geschuldeten geschichtlichen Unkorrektheiten gespickt. Großzügig hatte ich meine übliche Pedanterie hintangestellt und mit geheuchteltem Verständnis bilanziert, dass man mit sowas bei einem Film, der nur den Anspruch habe, nach einer wahren Begebenheit gedreht zu sein, wohl leben müsse. (Oder so ähnlich.)

Nun begab es sich aber, dass ich kurz danach „Argo“ auf DVD gesehen habe. Auch dieser Film ist nach einer wahren Begebenheit gedreht. Ich fühlte mich von einem spannenden Film hervorragend unterhalten, wenn ich dann auch zur Kenntnis nehmen musste, dass Tigermaus8 insgesamt zu einem deutlich anderen Urteil gekommen war. Nun ja, die Meinungen gehen auseinander. Und ich hatte, trotz der Warnung „nach“, das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Dann aber, mein Interesse war durch den Film geweckt, wollte ich es genauer wissen. Und was macht der wissbegierige Mensch heutzutage? Richtig, er geht auf Wikipedia.

Tja. Was soll ich sagen. So gut wie alles, was die Spannung des Films ausmachte, war erstunken und erlogen. Bei manchen Details konnte man sich das schon denken, zum Beispiel bei der doch sehr dick aufgetragenen Verfolgungsjagd am Ende auf dem Rollfeld des Flughafens. Aber auch sonst überwog ganz klar die Dichtung, und die Wahrheit diente mehr als Gerüst dafür. Gelernt hatte ich also nur, dass neben der eigentlichen Geiselnahme noch ein weiteres Drama stattgefunden hatte.

Bei den meisten anderen Dingen aber hatte ich mir nur eingebildet, neues Wissen angehäuft zu haben. Und genau das ist das Problem, fast schon die Gefahr mit diesen Filmen oder auch Serien nach wahren Begebenheiten oder mit realen Vorbildern. Man stopft sich mit Irrtümern und Halbwissen voll, und Halbwissen ist noch schlimmer als Nichtwissen. Weil man beim Nichtwissen wenigstens weiß, dass man nichts weiß. Jedenfalls im Idealfall. Wer, der sich nicht wirklich perfekt auskennt, kann schon erkennen, welches Detail Dichtung und welches Wahrheit ist? Und wer weiß, vielleicht finden über den Umweg Kino oder Fernsehen dann Unkorrektheiten in die Geschichtsschreibung, weil einer, verwirrt durch einen Film, in einem umnachteten Moment damit anfängt und, wie das in der Geschichtsschreibung so üblich ist, dann alle anderen bei ihm abschreiben. Und, zack!, plötzlich ist dann ein Gedanke des Drehbuchschreibers Teil der offiziellen Geschichte. Weil es in den Tudors oder Borgias oder in Argo oder wo auch immer so vorgekommen ist.

Soll man also Filme und Serien „nach“ verbieten? Soll man vielleicht jedes erfundene Szenen mit einem Störer „Achtung! Die aktuelle Szene ist erstunken und erlogen!“ kenntlich machen? Ja, das wäre eine sehr gute Idee, wenn auch leider wie so viele andere sehr gute Ideen illusorisch. Es gibt also mal wieder keine Lösung. Es ist und bleibt alles sehr kompliziert.