Sonntag, 4. Oktober 2015

Das Comeback des Jahres

Hinterher stellte sich dann bei einem Kramen in den aus nostalgischen Gründen aufgehobenen Karten raus, dass es 13 Jahre her war. 13 Jahre seit dem letzten Besuch eines Rockkonzerts, seit dem Auftritt des unvergessenen Willy DeVille, und 15 Jahre seit dem vorletzten Besuch, seit dem Auftritt der Waterboys in der alten Batschkapp. In der Zwischenzeit nur Oper und dann auch eine Zeitlang überhaupt nix. Und jetzt also wieder die Waterboys. In der neuen Batschkapp. Mein persönliches Comeback des Jahres.

Konnte das gutgehen? Irgendwann ist der Mensch vielleicht zu alt für diese Rockkonzerte und sollte die Abende besser entspannt bei einem Glas Rotwein oder vielleicht nur Leitungswasser mit einer Nahrungsergänzungsbrausetablette auf dem Sofa verbringen, statt stundenlang in stickigen Hallen inmitten von Menschenmassen zu stehen und sich mit Bier überschütten zu lassen. Wenn einen aber Freunde, mit denen man vor mehreren Jahrzehnten gemeinsam die Schule besucht hatte, quasi zwingen, kann man sich eher nicht die Blöße geben und mit dem fortgeschrittenen Alter kokettieren. Und es war auch noch Monate hin, als die Frage aufkam, also im Prinzip weit jenseits jeglicher Vorstellungskraft. Daher dann also ein verwegenes „okay, komme ich halt ausnahmsweise mal wieder mit“.

Natürlich ging dann alles ganz schnell, die Monate verflogen und ich durfte nach der Arbeit nicht die Füße hochlegen, sondern musste mit der U-Bahn in den Osten von Frankfurt fahren. Es wurde in gewisser Weise zu einer Zeitreise. Das Publikum überwiegend in meinem, also im fortgeschrittenen Alter. Und alle benahmen sich so, wie ich es von früher in Erinnerung hatte; also nicht nur wie vor 13, sondern wie vor 20 oder 30 Jahren. Die gleichen betont lässigen Posen, das gleiche Gehabe, die gleiche Mimik, das gleiche Rumstehen usw. Wer weiß, vielleicht hat jede Generation nicht nur ihre eigene Musik, sondern auch ihr eigenes, unverwechselbares Rockkonzertbenehmen. Bei vielen Besuchern waren auch Kleidung und Frisuren und Styling genau wie früher; wohl der verzweifelte, würdelose und, seien wir ehrlich, vergebliche Versuch, die eigene Jugend zu bewahren oder zu exhumieren.

All das war vermutlich zu erwarten, es war aber auch nicht weiter schlimm. Vor allem war es gar nicht sooooo daneben. Das knapp zweistündige Konzert war durchaus wie eine Verjüngungskur, bei der ich kurzfristig vergessen habe, dass ich mittlerweile, es ist nicht zu leugnen, ein fauler alter Sack bin. Die sechs Herren rockten sehr lebendig, es war ein ziemlich geiles Konzert, bei dem man nicht stillstehen konnte. (Okay, die Zugabe Purple Rain hätte es nicht gebraucht, schon gar nicht als letzte Zugabe, die einen dann in die Nacht entließ, diesen Song mochte ich noch nie; aber ich will nicht kleinlich sein, und letztlich ist das sowieso Geschmacksache.) Die Waterboys spielten eine schöne Mischung aus dem sehr vielseitigen Werk der Band, darunter, wie es sich gehört, diverse Titel der empfehlenswerten neuen CD. Sollten Sie eine ausführliche und vor allem kompetente Konzertkritik lesen wollen, empfehle ich einen Besuch des Internets; andere können das besser als ich.

Ach ja, alles war dann doch nicht wie früher. Betrat man früher die Halle mit einer schönen Konzertkarte, die man dann als Souvenir möglichst intakt in die Sammlung eingliedern konnte (siehe oben), ist es heute ein schnöder, aus logistischen Zwängen mehrfach gefalteter Ausdruck aus dem Internet. Wäre man früher für den Konsum von alkoholfreiem Bier ausgelacht worden, ist das mittlerweile relativ normal und lässt einen nicht wie einen Schrat wirken. Hielt man früher, wenn sich der Song dafür eignete, ein Feuerzeug hoch, ist es heutzutage ein Handy, mit dem man Erinnerungsfotos knipsen oder einen Song aufnehmen kann, und das Ergebnis lädt man dann irgendwo hoch und belästigt vielleicht sogar dereinst die Enkel und Urenkel damit.


Wer weiß, vielleicht war es ja doch nicht das allerletzte Rockkonzert, das ich besucht habe. Vorher war ich mir da ziemlich sicher, aber man soll bekanntlich niemals nie sagen.

Die vielleicht längste Anfahrt hatte übrigens die Dame aus Ulm, die in der gleichen U-Bahn wie ich saß und dann bei etwas Waterboys-Smalltalk gemeinsam mit mir zur Halle ging. Sollten Sie das hier lesen: fühlen Sie sich gegrüßt.

Foto ©Thomas Kalich