Sonntag, 5. Juni 2011

Der Dichter

Der Dichter sitzt vor einem Blatt
Und sucht nach goldnen Reimen;
Sein Geist jedoch ist furchtbar matt,
Das Epos will nicht keimen.

Das Blatt bleibt hartnäckig reinweiß,
Da hilft kein lautes Motzen;
Der Dichter brüllt „Was soll der Scheiß?“
Und fängt dann an zu kotzen.

Er reißt sich alle Haare aus
Und schlägt sich auf die Birne;
Dann holt der Dichter sich ins Haus
Zum Mauseln eine Dirne.

Auch das befruchtet nicht den Geist,
Der Dichter ist am Ende;
Mit rotem Kopf ers Blatt zerreißt,
Ein solcher Frust spricht Bände.

Flugs füllt er sich mit Alkohol,
Das Dichten zu erzwingen;
Des Dichters Kopf jedoch bleibt hohl,
Nichts scheint ihm zu gelingen.

Allein, den Dichter ficht‘s nicht an,
Stur will er‘s endlich wissen;
Er ist zwar blau, und mehr im Tran,
Doch grübelt er verbissen.

Und siehe da, mit einem Mal,
Der Dichter hat Gedanken;
Die sind zwar ein klein wenig fahl,
An Schwachsinn sie auch kranken.

Doch ist‘s dem Dichter einerlei,
Für ihn ist nur erheblich,
Dass seine ganze Quälerei
Nicht ganz und gar vergeblich.

Flink reiht der Dichter Wort an Wort,
Schafft zarte Sprachgewebe;
Der Syntax tut er einen Tort,
Der Sinn bleibt in der Schwebe.

Er huldigt der Legasthenie,
Das Werk klingt voll bescheuert;
Der Dichter gilt jetzt als Genie,
Wie alle Welt beteuert.