Religionsfreiheit soll höher bewertet als das Recht auf
körperliche Unversehrtheit – mit welcher Begründung? Zweifellos ist die
Zirkumzision nicht mit der ebenfalls gern religiös begründeten Verstümmelung
der weiblichen Genitalien zu vergleichen. Ungefährlich ist der Eingriff dennoch
nicht. Darüber hinaus: Wo sind die Grenzen? Soll die weibliche
Genitalverstümmelung legalisiert werden? Was, wenn eine Kirche in
überraschend aufgefundenen uralten Unterlagen entdeckt, dass es zum korrekten
Ausüben der Religion absolut unverzichtbar ist, direkt nach der Geburt die
unreine linke Hand zu amputieren?
Religionsfreiheit bedeutet nicht, dass sich die Kirchen alle
Freiheiten herausnehmen dürfen. Sie bedeutet, dass jeder glauben darf, was er
will; dass er die Religion ausüben kann, die er für die richtige hält.
Religionsfreiheit bedeutet aber auch, frei von Religion leben zu dürfen. Niemandem
soll eine Religion aufgezwungen werden. Mit der religiös bedingten Beschneidung
passiert exakt das. Wer im Alter der Volljährigkeit beschließt, er müsse sich
aus Liebe und Hingabe zu seinem Herrgott in welcher Form auch immer verstümmeln,
kann das dann jederzeit noch nachholen.
Auf die hysterische Reaktion des Moskauer Rabbiners Pinchas
Goldschmidt, der reflexartig einen Holocaust-Vergleich bemühte, will ich an
dieser Stelle gar nicht eingehen. Wer so argumentiert, ist nicht
satisfaktionsfähig und setzt sich automatisch selbst ins Unrecht. Das gilt auch
für das lächerliche Argument „das haben wir schon 4000 Jahre so gemacht und das
werden wir auch mindestens weitere 4000 Jahre machen“. Mir ist klar, dass bei
dieser Debatte die deutsche Geschichte von 1933 bis 1945 keine unbedeutende
Rolle spielt. Aber ein Unrecht kann kein anderes Unrecht legitimieren.
Religion spielt im öffentlichen Leben dieses Landes, das ganz
offensichtlich nur theoretisch säkular ist, eine viel zu große Rolle. An den
Einzug der Kirchensteuer durch den Staat sowie an Kruzifixe und
Religionsunterricht in staatlichen Schulen hat man uns leider schon gewöhnt.
Wir sollten den Einfluss der Kirchen nicht noch größer werden lassen. Weisen
wir die Frommen in die Schranken, solange es noch möglich ist. Gottesstaaten
gibt es auf dieser Welt mehr als genug, nicht nur im islamischen Raum.
Oder sollte es eine Rolle spielen, dass eine Einhaltung des
Verbots nicht effektiv zu kontrollieren wäre? Dass Eltern in Zukunft
zweifelhafte Hobbyschnippler mit rostigen Obstmessern engagieren würden? Das
wäre dann eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats.
Sorgen mache ich mir aber auch wegen der Vehemenz, mit der
Politiker der meisten Parteien auf die Richter bzw. das Urteil eingeteufelt
haben. Meines Wissens sind unsere Politiker Gerichten gegenüber nicht
weisungsbefugt. Aus sehr gutem Grund haben wir die Teilung zwischen
Legislative, Judikative und Exekutive. Wo soll seitens der Politik als nächstes
Druck gemacht, Einfluss ausgeübt werden?
Nicht hilfreich war übrigens auch Ihr Kommentar, ein Verbot
der Zirkumzision würde Deutschland zur Komikernation machen. Das ist eine
Argumentation, die Ihrer nicht würdig ist.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, in diesem Sinne appelliere ich an Sie, Ihr Vorhaben zu überdenken. Schaffen Sie im Gegenteil mit Ihrer
Regierung die Voraussetzungen dafür, dass eine Zirkumzision ohne medizinischen
Grund in Zukunft bundesweit als das verurteilt wird, was es ist: eine Körperverletzung.
Mit freundlichen Grüßen
Herr Hallmackenreuter